Bauteilkonstruktionen

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Aussagen über das Auslegen von Composite-Bauteilen

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Jörg Willing
Labor Advanced
Materials Akzo, Wuppertal
Focus

 

Die Entwicklung der Hochleistungsfasern führt zu völlig neuen Möglichkeiten bei der Konstruktion und Auslegung von Bauteilen. Durch den gezielten Einsatz von Verstärkungen, d.h. das Ausrichten der Verstärkungsfasern in Belastungsrichtung, ist es möglich, ein optimal an die Belastung angepasstes Bauteil mit minimalem Materialaufwand zu konstruieren. Nicht nur für die Luft- und Raumfahrt sind diese Gewichtseinsparungen interessant, sondern auch im konventionellen Maschinenbau. Durch Gewichtseinsparungen kann z.B. auf zusätzliche Lagerungen, größere Antriebsaggregate oder kostspielige Bahnführungselemente verzichtet werden. Durch das geringere Masseträgheitsmoment sind wesentlich höhere Dreh- und Taktzahlen möglich. Insgesamt haben die sogenannten „Neuen Werkstoffe“ gegenüber den konventionellen Materialien viele Vorteile.

Bei Faserverbundwerkstoffen handelt es sich, im Gegensatz zu den konven-tionellen Werkstoffen, um anisotrope Materialien. Der Verbund besteht aus Fasern, die in eine sie umgebende Matrix (Harze oder Thermoplaste) eingebettet sind. Während die Faser die Verstärkungskomponente in dem entstehenden Werkstoff übernimmt, dient die Matrix dazu:

 

  • Die Fasern räumlich zu fixieren
  • Die Kräfte auf die Fasern zu übertragen
  • Die Fasern bei Druckbeanspruchung zu stützen
  • Die Fasern vor der Einwirkung von Umgebungsmedien zu schützen

 

Durch das Ausrichten der Fasern in den  Beanspruchungsrichtungen ist es möglich, den Werkstoff genau an seine speziellen Anforderungen (Lastfälle) anzupassen. Gerade durch diese Adaption wird es dem Konstrukteur ermöglicht, das Bauteil optimal zu dimensionieren und die maximale Gewichtseinsparung zu erzielen.

Die Anisotropie der Faserverbundwerkstoffe erfordert von den Konstrukteuren ein Umdenken gegenüber dem Umgang mit den konventionellen isotropen Werkstoffen. Das gezielte Verstärken der Bauteile mit Fasern führt zu richtungsabhängigen mechanischen Kennwerten des Bauteils. Bei den Faserverbundwerkstoffen wird nicht nur das Bauteil, sondern auch das Laminat konstruiert.

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Unidirektionales Laminat                               Multidirektionales (quasiisothropes) Laminat

 

Um dies bei der Konstruktion zu beachten und die sich aus diesen Möglichkeiten ergebenden Vorteile richtig zu nutzen, ist es notwendig, dem Konstrukteur Auslegungshinweise und Berechnungsmethoden an die Hand zu geben. Nachfolgend sind einige Schritte aufgeführt, die bei der Auslegung von Faserverbundteilen beachtet bzw. durchgeführt werden müssen. Die Reihenfolge, in der dies geschieht, richtet sich nicht zuletzt nach den Wünschen der Auftraggeber und den existierenden Anforderungen und Restriktionen.

 

Belastungen, Restriktionen, Anforderungskatalog

Bevor über Konstruktion und Auslegung nachgedacht wird, müssen die wirklichen Anforderungen ermittelt werden. Oft wird von einem Bauteil aus konventionellen Werkstoffen ausgegangen und eine 1:1 Substitution gewünscht, bzw. werden dieselben mechanischen Kennwerte des bisherigen Bauteils verlangt. Dies führt nicht zu optimalen Lösungen. Um das Faserverbundbauteil optimal zu konstruieren, müssen die realen Belastungen und Restriktionen bekannt sein. Die Erstellung eines Anforderungskataloges kann hierbei sehr hilfreich sein.

 

Konstruktion/Herstellungsverfahren

Schon vor der eigentlichen Konstruktion muß das Verfahren, das man zur Herstellung des Bauteils verwenden will, bekannt sein. Jedes Herstellungsverfahren hat seine Eigen- und Besonderheiten, die bei der Konstruktion berücksichtigt werden müssen. Die Seriengröße ist ein zusätzliches Auswahlkriterium.
Abhängig vom Herstellungsverfahren sind auch einige mechanische Kennwerte, d.h. daß nicht mit jedem Verfahren jede gewünschte Bauteileigenschaft erreicht werden kann.

Gestaltungsregeln, die man bei der Auslegung betrachten sollte, ergeben sich aus den Richtlinien beim Umgang mit dem verwendeten Material und ähneln denen bei der Konstruktion von reinen Kunststoffbauteilen. Einige beachtenswerte Regeln lauten:

 

  • Geringe Wandstärken anstreben
  • Masseanhäufungen vermeiden
  • Zulässige Radien für Fasern betrachten
  • Hinterschneidungen vermeiden
  • Entformungsschrägen vorsehen
  • Werkstoffgerechte Verbindungen vorsehen
  • Erreichbare mechanische Eigenschaften beachten
  • Fasergerecht konstruieren

 

Dimensionierung des Bauteils

Die Auslegung von Bauteilen erfolgt größtenteils durch die Berücksichtigung von zulässigen Verformungen, Dehnungen bzw. Auslenkungen. Bei der Auslegung von Composite-Bauteilen sollte sicherheitshalber so dimensioniert werden, daß neben den geforderten maximalen Verformungen die einzelnen Laminatschichten die zulässigen bzw. kritischen Dehnungen nicht überschreiten, d.h. es wird gegen ein rißfreies Laminat dimensioniert.

Erste Mikroschädigungen (Crazings) in einzelnen Schichten des Laminates führen zu weiterer Rißausbreitung und erlauben z.B. Medien in das Laminat einzudringen und es zu schädigen. Dies führt zu einer kürzeren Lebensdauer des Bauteils und ist somit unerwünscht. Das Bauteil wird bei Überschreitung der kritischen Dehnung in einer Schicht nicht schlagartig versagen, jedoch wird die Lebensdauer herabgesetzt.
Im Gegensatz dazu kann auch festigkeitsorientiert dimensioniert werden. Dann richtet sich die Berechnung danach, ob das Bauteil bei maximaler Beanspruchung versagt oder nicht. Das Versagen einzelner Schichten kann dabei erlaubt sein, solange nicht das ganze Bauteil zerstört wird.

Konstruiert wird der Werkstoff, vor allem im Großflugzeugbau, aus unidirektional und/oder gewebeverstärkten Prepregs. Der Lagenaufbau, Anzahl und Ausrichtung der Schichten richtet sich nach den speziellen mechanischen Anforderungen. Dadurch entstehen bei jedem neuen Anwendungsfall neue
mechanische Kennwerte für das entstandene Bauteil, die sich aus den mechanischen Kennwerten und Eigenschaften der Einzelschichten ableiten lassen.

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Faserorientierung im FWV-Bauteil                                                                           Elastizitätsmodul verschiedener Faserverbunde

 

Festlegung der Materialien

Die Festlegung der Materialien richtet sich nach vielfältigen Gesichtspunkten:

  • Einsatztemperatur
  • Steifigkeit
  • Festigkeit
  • Umgebungsmedien
  • Preis
  • Gewicht
  • Wandstärke, Einbauplatz
  • Bauteilausdehnung bei Temperatur
  • Andere Kriterien

Ist man sich über die o.g. Punkte im klaren, kann die Materialkombination aus Faser und Harz festgelegt werden.

 

Auswahl der Berechnungsmethode

Allgemein können zur Berechnung vier Methoden herangezogen werden, die nachfolgend noch näher beleuchtet werden.

Bei den ersten drei Methoden handelt es sich um analytische Betrachtungen, die zur Berechnung einfacher flächiger Bauteile ausreichen. Die neuen Materialien -wie CFK- erlauben jedoch eine sehr freie Formgestaltung, so dass die Berechnung der komplizierten Geometrien nicht mehr auf einfache geschlossene Lösungen zurückgeführt werden können. Hier bietet sich die Finite-Elemente-Methode als ein numerisches Verfahren zur Lösung der strukturmechanischen Probleme an. Komplizierte Geometrien werden im Rechner konstruiert, mit Belastungen und Restriktionen versehen und danach berechnet. Diese Art der Berechnung ermöglicht es auch, die in Wirklichkeit 3-dimensionale Struktur der Bauteile zu berücksichtigen.

Anhand der Berechnungen werden die in den einzelnen Laminatschichten auftretenden Spannungen und Dehnungen ermittelt.

 

Der prinzipielle Ablauf stellt sich wie folgt dar:

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Allgemeiner Berechnungsablauf für Faser-Kunstoff-Verbunde

 

Netztheorie

Voraussetzung:

  • Orthotropie
  • Symmetrie
  • Halten der Schichten aneinander

Bei der Netztheorie übernimmt das Harz keine Kräfte. Der Festigkeitsnachweis für wenig intensiv ausgelastete Bauteile, ohne Korrosionseinflüsse und dynamische Lasten, kann mit Hilfe der Netztheorie durchgeführt werden.

 

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Kontinuumstheorie

Voraussetzung:

  • Orthotropie
  • Symmetrie zur Mittelebene
  • Ebener Spannungszustand

Bei der Kontinuumstheorie werden im Laminat Faser und Harz als fest miteinander verbunden angesehen. Behindert wird die Anwendung der Theorie lediglich durch die Voraussetzung des symmetrischen Aufbaus des Laminates.

 

Laminattheorie

Voraussetzung:

  • Die Schichten sind fest miteinander verbunden
  • Bei einer Belastung ist in jeder Einzelschicht die Verformung gleich groß

 

Finite-Elemente-Methode (FEM)

Voraussetzung:
Die FEM ist sicherlich die allgemeingültigste Methode zur Auslegung und Berechnung von Faserverbundbauteilen. Einige Firmen bieten speziell zur Berechnung von Faserverbundbauteilen Module an, die die Besonderheiten, Anisotropie u.ä. von Faserverbundwerkstoffen berücksichtigen. Einschränkungen für diese Berechnungsmethode bestehen je nach der verwendeten Software. Inwieweit Voraussetzungen für die Verwendung einzelner Programme erfüllt sein müssen (Orthotropie, Symmetrie zur Mittelebene, ebener Spannungszustand, etc.) muß je nach eingesetztem Programm in Erfahrung gebracht werden.

 

Ermittlung der Materialdaten

Voraussetzungen für die Berechnungen ist die Kenntnis über die mechanischen Daten der eingesetzten Materialien. Die Anzahl und Art der benötigten Daten hängt von der verwendeten Berechnungsmethode und dem gewünschten Materialaufbau ab.Oftmals liegen die benötigten Kennwerte für die gewünschte Materialkombination nicht vor. Mittels theoretischer Ansätze ist es möglich, aus den mechanischen Daten der einzelnen Komponenten, Faser und Matrix, diese zu berechnen. Ist die Berechnung nicht möglich, sind zerstörende mechanische Prüfungen zur Ermittlung der Daten notwendig.

 

Versagensanalyse

Nachdem die Berechnung durchgeführt wurde, ist die Analyse des Ergebnisses notwendig. Speziell für Faserverbundbauteile wurden in der Vergangenheit mehrere Versagenshypothesen entwickelt. Diese Theorien unterscheiden sich in den betrachteten Belastungen (statisch oder dynamisch), in der Bewertung der auftretenden Versagensarten (Faserbruch, Matrixbruch, Grenzflächenversagen) und in den grundsätzlichen Überlegungen, ob festigkeitsorientiert oder gegen maximale Dehnungen dimensioniert werden soll.

Ähnlich wie bei den Versagenshypothesen für konventionelle Werkstoffe soll eine Vergleichbarkeit zwischen einem mehrachsigen Beanspruchungszustand und einem unter einachsigen Laborversuchen ermitteltem Vergleichswert ermöglicht werden.

 

Ergebnis

Die Aus- und Bewertung der Auslegung von Faserverbundbauteilen ist der letzte Schritt. Die vielfältigen Variationsmöglichkeiten der Materialien, der Faserorientierungen, die freie Formgestaltung und Fertigungseinflüsse erschweren die rein theoretische Betrachtung des Problems. Eine Fertigung von Prototypen und praxisnahe Tests mit ihnen sind somit unbedingt notwendig. Erst diese Ergebnisse geben letztendlich Aufschluß darüber, ob das Bauteil in der Praxis eingesetzt werden kann.

 

Normalbeanspruchung Scherbeanspruchung Materialverhalten
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 isotrop
 

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Orthotropieachsen

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orthotrop

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orthotrop

beanspruchte Richtung

Orthotropierrichtung

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Dehnung und Drillung

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Scherung und Drillung

 

 

anisotrop

 

Verformungen bei Faser-Kunstoff-Verbundlaminaten

 

 

ZENTAUR Chiron - Konzeption und Entwicklung eines behindertengerechten Fahrzeuges
mit Unterstützung durch CAD und FEM an der Fachhochschule für Technik, Esslingen.